Metallbaukasten

 
Theoretische Betrachtungen zur MÄRKLIN-Spule

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  Zum Inhalt größerer MÄRKLIN-Metallbaukästen gehörten seinerzeit eine spezielle Spule sowie ein 8-segmentiger Kollektor mit Kohlebürstehalter zum Aufbau verschiedener Motormodelle und anderer magnetischer Antriebe. Diese Spule war im Laufe der Zeit abhanden gekommen und als Neuteil war sie Ende der 1990er Jahre von MÄRKLIN nicht mehr erhältlich. Deshalb wurde beschlossen, eine solche Spule zunächst selbst zu bauen.


Die Abmessungen wurden aus verfügbaren Abbildungen entnommen und ein passender Spulenkörper aus Delrin gefertigt.

Problematischer war die Bestimmung der Drahtstärke, da sich diese im Laufe der Zeit anscheinend geändert hatte und Spulen mit unterschiedlichen Drahtdurchmessern existierten. Der entscheidende Hinweis kam von einem Arbeitskollegen, der einen Drahtdurchmesser von 0,35 mm nannte.

Um die Spule an einem 7-zelligen Akku (8,4 V) betreiben zu können, wurde der Spulenkörper schließlich mit 500 Windungen eines Drahtes mit 0,45 mm Durchmesser bewickelt (siehe auch MÄRKLIN-Spule).
Selbstgebaute Spule
Die selbstgebaute Spule im
Axialmotor mit Kulissensteuerung



An der fertiggestellten Spule wurden verschiedene Messungen durchgeführt - u. a. beträgt der ohm'sche Widerstand dieser immer noch existierenden Spule R = 10,3 Ω.
Ebenso interessant erschien der Verlauf der Kraft auf den Eisenkern in Abhängigkeit seiner Position in der Spule, um evtl. einen optimalen Bereich des Stromflusswinkels ermitteln zu können. Das Problem war hierbei, dass zur direkten Messung der Kraft keine geeigneten Geräte zur Verfügung standen, wohl aber zur Messung von Induktivitäten. Deshalb wurde versucht, die Kraft über den Umweg der mechanischen und magnetischen Energie zu bestimmen unter Anwendung der Zusammenhänge

Wmech = F · s      und      Wmagn = ½ · I2 · L           bzw.           ΔWmech = F · Δs      und      ΔWmagn = ½ · I2 · ΔL.


Die zu ermittelnde Kraft - hier analog zu Hubkolbenmotoren als Kolbenkraft FK bezeichnet - ergibt sich daraus durch Gleichsetzung und Umstellung zu

FK = ½ · I2 · ΔL/Δs

FK = Kolbenkraft in N,    I = Strom in A,    ΔL = Differenz der gemessenen Induktivitäten in H,    Δs = Strecke zwischen zwei Positionen des Kerns in m.


Aufzeichnungen
Die Aufzeichnungen aus dem Jahr 1997
Zur Bestimmung der Δ-Werte wurde die Position des Eisenkerns in 5mm-Schritten verändert und die jeweils zugehörige Induktivität gemessen.

Die detaillierten Messwerte für insgesamt 3 Ströme sowie weitere Details sind den nebenstehenden Aufzeichnungen aus dem Jahr 1997 zu entnehmen.

Ob es eine solche Spule mit 500 Windungen eines Drahtes mit dem Durchmesser 0,45 mm auch von MÄRKLIN gegeben hat, darf angezweifelt werden. Bei einer originalen MÄRKLIN-Spule werden sich deshalb vermutlich andere Messwerte ergeben, die grundsätzliche Tendenz wird jedoch weitgehend erhalten bleiben.



Im Jahr 2022 wurde das Thema nochmal aufgegriffen und weitere Untersuchungen bzw. Berechnungen an der Spule durchgeführt. Hierbei wurden die Messwerte zunächst etwas "nachgeschärft" und anschließend in die Tabellenkalkulation Numbers (Apple) eingegeben, um eine analytische Handhabe zu bekommen.

Mit Hilfe der Trendlinien-Funktion lässt sich für die einzelnen Messwerte der Kolbenkraft eine Annäherung ermitteln, die aus jeweils einem Polynom 6. Grades besteht; diese sind in nebenstehendem Diagramm für die unterschiedlichen Ströme dargestellt.

Der Nullpunkt der X-Achse entspricht der mittleren Position des Eisenkerns in der Spule. Da der Kern ca. 10 mm länger ist, als der Spulenkörper, ragt er in dieser Position auf beiden Seiten ca. 5 mm aus dem Spulenkörper heraus.
Die Kurven sind sehr ausgewogen und auch der R2-Wert von 1 (Maß für die Güte) suggerierte zunächst eine optimale Annäherung durch die Polynome.
Kolbenkraft
Die Kolbenkraft FK in Abhängigkeit der Position des Eisenkerns



Näherungspolynom 6. Ordnung
Die Gleichung des mit EXCEL ermittelten Näherungspolynoms 6. Ordnung
für die Kolbenkraft FK bei einem Spulenstrom von 2 A
Bei der Gegenprobe wurde allerdings festgestellt, dass die Polynome jenseits des Maximums immer größer werdende Abweichungen von den ursprünglichen Werten lieferten.
Nach längerer Ursachensuche stellte sich heraus, dass Numbers angeblich mit 15 Dezimalstellen rechnet und diese Anzahl der Stellen für den vorliegenden Fall offenbar nicht ausreichte.

Die Näherungspolynome für die Kolbenkraft wurden deshalb nochmal mit EXCEL ermittelt und hierbei die maximale Stellenzahl von 30 eingestellt. Die links angegebene Gleichung des Polynoms für einen Spulenstrom von 2 A konnte schließlich auch in Numbers einer Gegenprobe mit zufriedenstellender Genauigkeit standhalten.
Auch wenn nicht alle 30 Stellen gebraucht werden, scheint zumindest in diesem Punkt MS EXCEL Apple Numbers deutlich überlegen zu sein.



Eine solche Spule wird häufig für den Bau sog. Axialmotoren verwendet. Bei diesen Motoren wird die oszillierende Bewegung des Eisenkerns - vergleichbar mit einer Dampfmaschine - mittels eines Exzenters (auch als Kurbeltrieb bezeichnet) in eine Rotation umgewandelt, Beispiele dazu siehe auch

Axialmotor mit Kulissensteuerung      Dampfmaschine mit Fliehkraftregler      2-Zylinder-Dampfmaschine mit Kulissensteuerung.


Zur Erläuterung der Geometrie eines Kurbeltriebs und der verwendeten Begriffe sei auf das Internet verwiesen, z. B. auf

Einfacher Kurbeltrieb            Kenngrößen des Kurbeltriebs.

Wie man den Zeichnungen und Gleichungen ebenfalls entnehmen kann, sind die verwendeten Bezeichnungen der einzelnen Größen leider keineswegs einheitlich.


Die Bezugsgröße bei einem Kurbeltrieb ist in der Regel der sog. Kurbelwinkel α.
Auch die Position des Kolbens wird in Abhängigkeit des Kurbelwinkels angegeben, wobei der Kurbelwinkel 0° der Kolbenposition OT (oberer Totpunkt) und 180° der Kolbenposition UT (unterer Totpunkt) entspricht. Der Weg dazwischen wird als Kolbenweg sK und die Strecke zwischen OT und UT als Kolbenhub h bezeichnet.
Der Kolbenhub wiederum ist doppelt so groß, wie der Kurbelradius r, und zusammen mit der Pleuelstangenlänge l ergibt sich das Pleuelstangenverhältnis λ = r/l.

Der Kolbenweg sK folgt dem Kurbelwinkel α im Wesentlichen gemäß einer Cosinus-Funktion, welche vom Pleuelstangenverhältnis λ etwas "verbogen" wird. Wie den Literaturquellen zu entnehmen ist, lautet die zugehörige Gleichung

sK = l + r - [r · cos(α) + l ·  √(1 - λ2 · sin2(α))],

welche für die Winkel α = 0° und α = 180° leicht überprüfbar ist.



Da die Kurbelwelle eines solchen Motors meist aus einem Lochscheibenrad oder aus einem speziell dafür erhältlichen Exzenter besteht, ergibt sich für den Kurbelradius in diesem Fall ein Wert von r = 12,7 mm (½ Zoll). Nachfolgend soll deshalb mit einem festen Kurbelradius r = 12,7 mm gerechnet werden, was einem Kolbenhub h = 25,4 mm (1 Zoll) entspricht.

Die Pleuelstangenlänge l wird jedoch als variabel angenommen, um den Einfluss des Pleuelstangenverhältnisses darstellen zu können.

Nebenstehendes Diagramm zeigt den Kolbenweg sK in Abhängigkeit des Kurbelwinkels α bei einem Pleuelstangenverhältnis λ = 0,25. Die Pleuelstange ist in diesem Beispiel also 50,8 mm lang, was der Länge eines 5-Loch-Flachbandes entspricht.
Kolbenweg
Die Kolbenweg sK in Abhängigkeit des Kurbelwinkels α
bei einem Pleuelstangenverhältnis λ = 0,25



Kolbenkraft
Die Kolbenkraft FK in Abhängigkeit des Kurbelwinkels α
bei einem Spulenstrom von 2 A
Im nächsten Schritt wurden die errechneten Werte für den Kolbenweg sK in das oben angegebene Näherungspolynom 6. Grades für die Kolbenkraft FK bei einem Strom von 2 A eingesetzt.

Den daraus resultierenden Verlauf der Kolbenkraft FK in Abhängigkeit des Kurbelwinkels α zeigt das nebenstehende Diagramm - auch hier wieder für ein Pleuelstangenverhältnis von λ = 0,25.


Ein Teil der Kolbenkraft FK wirkt am Kurbeltrieb als sog. Tangentialkraft FT, welche das Drehmoment auf die Kurbelwelle erzeugt. Die Tangentialkraft folgt hierbei im Wesentlichen einer Sinus-Funktion, welche vom Pleuelstangenverhältnis ebenfalls etwas "verbogen" wird (in nebenstehendem Diagramm schwarz gestrichelt dargestellt):

FT = FK · sin(α) + [cos(α) · λ ·  sin(α) / √(1 - λ2 · sin2(α))] .


Beide Kräfte sowie deren Zusammenhang sind in nebenstehendem Diagramm dargestellt.
Kolbenkraft und Tangentialkraft
Kolbenkraft FK und Tangentialkraft FT in Abhängigkeit des Kurbelwinkels α
bei einem Pleuelstangenverhältnis λ = 0,25



Durch Multiplikation der Tangentialkraft mit dem Kurbelradius r ergibt sich schließlich das auf den Kurbeltrieb wirkende Drehmoment:

M = FT · r .


Die in ein Rotationssystem eingebrachte Rotationsenergie errechnet sich allgemein aus dem Drehmoment und dem zurückgelegen Winkel α (im Bogenmaß) zu

Wrot = M · α
und besteht aus der Fläche unter der Drehmoment-Kurve.


Da es sich um eine Funktion handelt, kann die Fläche jedoch nicht durch eine einfache Multiplikation berechnet werden, sondern erfordert eine mathematische Integration der Funktion des Drehmoments in Abhängigkeit des Kurbelwinkels α:

Wrot = ∫M(α) · dα.

Um die Drehmoment-Funktion analytisch integrieren zu können, muss sie zunächst ermittelt werden und auch das erfolgte in Form einer Polynom-Annäherung aus den bereits bekannten Gründen mit EXCEL.



Im Diagramm unten links ist das Drehmoment M als Funktion des Kurbelwinkels α dargestellt - auch wieder für ein Pleuelstangenverhältnis von λ = 0,25. Es hat die gleiche Form, wie die Funktion der Tangentialkraft FT, weil lediglich mit dem Kurbelradius r = 12,7 mm multipliziert wurde.
Die blaue Kurve zeigt den Verlauf, wie er aus den einzelnen Punkten berechnet wurde.
Die rote Kurve stellt die Annäherung dar, welche ebenfalls aus einem Polynom 6. Grades besteht. Wie man sieht, gibt es zwischen beiden Kurven gewisse Abweichungen, aber genauer war die Annäherung mit der einfachen Trendlinien-Funktion in diesem Fall nicht möglich.

Das Bild unten rechts zeigt das zugehörige Näherungspolynom - dieses Polynom ist zu integrieren ist, wenn die Fläche unter der Drehmoment-Funktion (Rotationsenergie) berechnet werden soll.


Drehmoment
Das Drehmoment M in Abhängigkeit des Kurbelwinkels α
 
Näherungspolynom
Das Näherungspolynom 6. Grades für die Drehmoment-Funktion


Die Integration eines solchen Polynoms ist relativ einfach, da die Summanden einzeln integriert werden können. Die Regel lautet:

Die Potenz der Variablen X um 1 erhöhen und den davor stehenden Koeffizienten durch den erhöhten Potenzwert teilen.

Das Ergebnis ist ein Polynom 7. Grades, in dem alle Potenzen von 1 bis 7 vertreten sind.
Setzt man in dieses Polynom zunächst einen oberen X-Wert und in einer zweiten Berechnung einen unteren X-Wert ein und zieht die Ergebnisse voneinander ab, dann erhält man die Fläche unter der Drehmoment-Kurve innerhalb des oberen und unteren X-Wertes. Wichtig ist dabei, den X-Wert - in diesem Fall also den Kurbelwinkel α - als Bogenmaß einzusetzen. Andernfalls erhält man unsinnige Werte für die Rotationsenergie Wrot.


Aus dem Verlauf des Drehmoments M in Abhängigkeit des Kurbelwinkels α und dem zugehörigen Näherungspolynom lassen sich verschiedene Erkenntnisse ableiten.

Der maximale Stromflusswinkel kann bei einem solchen Axialmotor theoretisch 180° betragen und hierzu wären 4 der insgesamt 8 Kollektorsegmente zu verbinden - das ist trivial. Ein Stromflusswinkel von 180° ist allerdings aus mehreren Gründen nicht sinnvoll.
Zum einen lässt das allgegenwärtige Spiel bei einer solchen Konstruktion keine ausreichend präzise Einstellung zu, was zu einer Beeinträchtigung der Funktion führen wird.
Zum anderen tragen die kleinflächigen Randbereiche kaum noch zur Rotationsenergie bei, sodass ein Stromfluss in diesen Bereichen hauptsächlich der Erwärmung der Spule und somit der Reduzierung des Wirkungsgrades dient.
In der Praxis werden deshalb meist 3 Kollektorsegmente (für 135° Stromflusswinkel) oder bei einem Motor mit mehreren Spulen evtl. nur 2 Kollektorsegmente (für 90° Stromflusswinkel) verbunden und diese beiden Fälle sollen nachfolgend etwas genauer betrachtet werden.


Wie bereits oben erwähnt, lässt sich mit dem Integral der Drehmoment-Funktion die Fläche unterhalb der Kurve zwischen 2 vorgegebenen X-Werten (Grenzen) berechnen.


Optimale Bereiche
Die optimalen Bereiche der Stromflusswinkel
orangefarbene Grenzen für 135° Stromfluss
grüne Begrenzung für 90° Stromfluss
Wird der Bereich zwischen den X-Werten gleichgesetzt mit den Stromflusswinkeln 135° bzw. 90°, dann können mit Hilfe der Tabellenkalkulation die Grenzen ganz einfach so lange verschoben werden, bis die Fläche dazwischen - also die Rotationsenergie - maximal wird. Das ist dann der Bereich, in dem der Spulenstrom maximal zur Rotationsenergie beiträgt.

In nebenstehendem Diagramm sind diese Bereiche für 135° und 90° Stromflusswinkel dargestellt.
Demnach liegt das Optimum für 135° Stromfluss zwischen 19 und 154 Grad Kurbelwinkel (orange) und das Optimum für 90° Stromfluss zwischen 30 und 120 Grad Kurbelwinkel (grün).

In dieser Darstellung wird auch deutlich, dass die Bereiche jenseits der orangefarbenen Grenzen tatsächlich marginal sind und somit kaum noch zur Rotationsenergie beitragen.


Des weiteren ist erkennbar, dass das Maximum des Drehmoments nicht in der Mitte der optimalen Bereiche liegt.
Das bedeutet, dass bei einem Motor mit z. B. 4 Spulen, die mit einem einzigen Kollektor und folglich mit einem Stromflusswinkel von jeweils 90° gesteuert werden sollen, je nach Konstruktion u. U. nicht alle Spulen im optimalen Bereich betrieben werden können.
Ob sich das in der Praxis bemerkbar macht, sei dahingestellt - in einem solchen Fall wird man der Einfachheit halber den Kollektor auf max. Drehzahl justieren.
Man kann aber auch mit einem 2. Kollektor experimentieren oder evtl. auch einzelne Spulen verschieben, damit sie in einem günstigeren Bereich arbeiten.


Ein Vergleich zwischen der Rotationsenergie und dem zugehörigen Spulenstrom ist ebenfalls möglich.
Für einen Stromflusswinkel 135° wurde eine Rotationsenergie von 30,1 Nmm ermittelt und der zugehörige Stromfluss über 3 Kollektorsegmente sei zu 100% angenommen.
Für einen Stromflusswinkel 90° beträgt die Rotationsenergie 26 Nmm und der zugehörige Stromfluss über 2 Kollektorsegmente beträgt dann ca. 67%.
Einer Verringerung der Rotationsenergie um 14% steht somit eine Abnahme des Stroms um satte 33% gegenüber. Daraus resultiert ein höherer Wirkungsgrad bei 90° Stromflusswinkel, der den kleinflächigen Randbereichen zuzuschreiben ist, welche bei 135° Stromfluss nur unterproportional zur Rotationsenergie beitragen.


Ein Vergleich mit einer längeren Pleuelstange - also einem kleineren λ-Wert - wird bei Gelegenheit nachgeliefert.


Abschließend sei nochmal darauf hingewiesen, dass sich obige Betrachtung auf die seinerzeit selbstgebaute Spule bezieht. Messungen an anderen Spulen werden zu anderen Werten führen, das grundsätzliche Verhalten wird jedoch weitgehend erhalten bleiben.
Reibungseffekte, Massenträgheitseffekte, Temperatureffekte und sonstige Störfaktoren wurden bei obiger Betrachtung nicht berücksichtigt.



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